Timo Daum

Timo Daum ist Physiker, Hochschullehrer und Sachbuchautor, sein Arbeitsschwerpunkt ist der digitale Kapitalismus. Sein Buch „Das Kapital sind wir: Zur Kritik der digitalen Ökonomie“ erhielt 2018 den Preis „Das politische Buch“ der Friedrich-Ebert Stiftung. Timo Daum ist Gast der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Timo Daum lebt in Berlin und Wien. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Elektrifizierung und Digitalisierung auf die Autoindustrie. 2020 erschien „Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen“ bei Oekom in München. Zur Zeit promoviert er an der TU Berlin bei Hans-Liudger Dienel und Andreas Knie zum Thema „Abschied von Golf und Diesel. Teslas Rolle in der disruptiven Elektrifizierung der deutschen Automobilindustrie.“

Abstract des Promotionsvorhabens
Im November 2022 überholte das Tesla Model Y den Volkswagen Golf als meistverkauftes Auto in Europa. Dieses Ereignis markiert das Ende der Ära der Dominanz der deutschen Autoindustrie, die den Verbrennungsmotor zum Kernelement ihrer Expertise gemacht hat. Das US-amerikanische Startup Tesla hat diesen Paradigmenwechsel erheblich beschleunigt. Im Ergebnis zwingt Tesla – neben weiteren Faktoren wie dem Regulierungsdruck in der EU und in den USA, der Entwicklung des chinesischen Absatzmarktes und der dortigen Industriepolitik – die Autoindustrie in Deutschland zu einer akzelerierten Antriebswende.
Die Branche hat Dynamiken der Digitalisierung und Elektrifizierung unterschätzt und im Zuge dessen ihren „Vorsprung durch Technik“ möglicherweise verspielt. Die Situation veranlasst den Soziologen Klaus Dörre zu der Frage: „Droht der Auto- und Zulieferindustrie ein ähnliches Schicksal wie zuvor der Textilindustrie, dem Bergbau oder der Stahlbranche?“ (Dörre et al. 2022) Canzler und Knie deuten an, wo die Ursachen liegen: »Der Erfolg und die ungeheure Größe der Autoindustrie werden zum Problem, wenn das Hauptprodukt und die darauf aufbauenden Geschäftsmodelle nicht mehr zeitgemäß sind“ (Canzler and Knie 2018). Die Entwicklung bedroht nicht nur einzelne Unternehmen, sondern eine ganze Industrie mit ihren tradierten korporativen Strukturen. Angesichts dessen schlage ich vor, den Effekt von Tesla auf die Branche als „disruptive Elektrifizierung“ zu fassen.
Diese Arbeit vollzieht die entscheidenden Jahre 2012 bis 2023 für den Verlust des Vorsprungs durch Technik anhand der Reaktionen der Autoindustrie nach. Dazu werden geäußerte Haltungen und veröffentlichte Meinungen von maßgeblichen Branchenvertretern herangezogen, tatsächlich erfolgte strategische Weichenstellungen dargestellt und kritisch bewertet. In Interviews mit Vertretern aus Industrie, Verbänden, Gewerkschaften, Wissenschaft und Beratungsinstitutionen versuche ich nachzuvollziehen, wie eine Branche auf die Herausforderung durch das Elektro-Startup aus Kalifornien reagiert hat bzw. nicht reagiert hat.
Mit Hilfe von Innovationstheorien versuche ich das Mindset und die Reaktion der von Disruption Bedrohten industriesoziologisch zu fassen. Ich zeichne nach, wie „taumelnde Giganten“ (Canzler/Knie 2018) in eine „Schockstarre angesichts eines neuen Paradigmas“ (Barker 1985) verfallen sind und welche Rolle Tesla dabei gespielt hat als Akteur, der „den Automobilbau mit den neuen Geschäftsmodellen der Internetunternehmen betreibt“ (Boes/Ziegler 2021). Dazu schlage ich ein eigenes Phasenmodell der Reaktion auf disruptive Technologien (Christensen 1997) vor.