Nina Schlosser

Nina Schlosser ist Doktorandin der Sozialwissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Universität Wien. Sie hat einen Masterabschluss in Political Economy of European Integration sowie einen Bachelorabschluss in Betriebswirtschaftslehre der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Während des Betriebswirtschaftsstudiums absolvierte sie Auslandsaufenthalte in Buenos Aires/Argentinien und Lyon/Frankreich. Auf Grundlage ihrer Forschung versucht Nina, die auch aktives Mitglied der Klimagerechtigkeitsbewegung auf Bundes- und Landesebene ist, Politik und Zivilgesellschaft über die Ressourcendimension der Elektro-Automobilität zu informieren und gemeinsam mit Gleichgesinnten radikale, also autofreie und ressourcenarme Alternativen hierzulande zu stärken und dadurch ein gutes Leben für Mensch und Natur in globaler Perspektive zu ermöglichen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die sozial-ökologische Transformation von Produktions- und Konsummustern, die Konflikte, Krisen und Transformationen gesellschaftlicher Naturverhältnisse sowie Epistemologien Chiles und Lateinamerikas. Als Stipendiatin des Graduiertenkollegs verfolgt sie ein Promotionsvorhaben mit dem Arbeitstitel „Die Kehrseite der Elektro-(Auto)Mobilität: Akteure, Praktiken und Strukturen der Internalisierungsgesellschaft im Lithiumsektor Chiles“.

Abstract

Die Kehrseite der Elektro-(Auto)Mobilität: Akteure, Praktiken und Strukturen der Internalisierungsgesellschaft im Lithiumsektor Chiles

Seit der Kolonialisierung Lateinamerikas durch die europäischen Conquistadores beruht die Modernisierung der kapitalistischen Zentren auf den Rohstoffexporten lateinamerikanischer Länder. Und spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden sozial-ökologische Kosten in großem Umfang dorthin externalisiert. Im Gegenzug wurde den Ländern Entwicklung und Wohlstand versprochen, die sich jedoch lediglich für die nationalen Eliten bewahrheiteten. Dennoch ist der Glaube an individuelle Entwicklung und Wohlstand im Sinne des American Way of Life tief im „extraktivistischen Alltagsverstand“ (Eduardo Gudynas) verankert. Dem „Rohstoff-Konsens“ (Maristella Svampa) haftet allerdings auch großes Konfliktpotenzial an, insofern die „imperiale Lebensweise“ (Ulrich Brand/Markus Wissen), zumindest im Globalen Süden, immer noch auf Exklusivität beruht.

Der neue und steigende Rohstoffbedarf der Elektro-Automobilität zur ökologischen Modernisierung des Globalen Nordens erweckt in Chile, dem Land mit den weltweit größten Lithiumreserven, erneut Hoffnungen auf ein besseres Leben. Gleichzeitig nehmen mit dem Elektroauto-Boom in Europa auch Anzahl und Intensität ökoterritorialer Konflikte zu, die sich nicht nur zwischen den (trans-)nationalen Chemieproduzenten auf der einen und den Indígenas und Campesinas auf der anderen Seite entzünden, sondern auch innerhalb letzterer. Konfliktlinien in der Rohstofffrage ziehen sich mittlerweile durch das gesamte Land, und zwar entlang von Klasse, Geschlecht, Alter, „raza“ sowie Natur. Möglicherweise werden sich diese Konflikte um die Gestaltung gesellschaftlicher Naturverhältnisse mit dem Regierungswechsel und der neuen Verfassung ab 2022 erneut verschärfen. Zugleich erscheint eine sozial-ökologische Transformation zum ersten Mal seit der Allende-Regierung weniger utopisch. 

Vor diesem Hintergrund möchte ich untersuchen, inwiefern die herrschenden Kräfte im Globalen Norden und Südentrotzdem in der Lage sind, ein extraktivistisches „Entwicklungsmodell“ in Chile mittels eines „Lithium-Konsenses“ hegemonial abzusichern. Dafür skizziere ich erstens Chiles Rohstoffgeschichte anhand von Strukturen und Akteur*innen der Salpeter- und Kupferförderung und stelle diesen zweitens die Akteur*innen im zeitgenössischen Lithiumsektor Chiles zur Seite. Obwohl diese im Lichte ihrer Interessen Bündnisse bilden, sind auch diese Suchprozesse nicht frei von Konflikten und bringen überdies Praktiken zutage, die mir drittens verstehen helfen, wie die (gegen-)hegemonialen Kräfte ihre Interessen für oder gegen die Lithiumextraktion kommunizieren. So kann ich genauer nachvollziehen, inwiefern die Interessen der herrschenden Kräfte in den extraktivistischen Alltagsverstand der chilenischen Bevölkerung eingehen und mit welchen Auswirkungen für Mensch und Natur sie als Lithium-Konsens hegemonial abgesichert werden.

Das überwiegend empirische Forschungsprojekt basiert auf einem multimethodischen Ansatz der qualitativen Sozialforschung, bestehend aus Dokumentenanalyse, leitfadengestützten und problemzentrierten Interviews sowie teilnehmender Beobachtung.